Erziehung – ein Hundespiel? Warum Grenzen so wichtig sind

Wollen wir, dass der Hund nicht mehr an der Leine zieht, bleiben wir stehen, sobald sich die Leine strafft. Tun wir das wirklich jedes Mal, wird dieses unerwünschte Verhalten seltener? Somit ist auch das Stehenbleiben eine Strafe? Komplett ohne Sanktionen kommt kein Hundehalter durchs Leben, außer er ist bereit, sein Leben und das des Vierbeiners komplett einzuschränken. Wälzt sich der Hund in Kot oder frisst im Gebüsch Müll, kann der Besitzer dies akzeptieren oder es generell verhindern, indem er ihn ausschließlich an der kurzen Leine führt. Letzteres ist jedoch für den Hund sicherlich ein größerer Verlust an Lebensqualität als für unerwünschtes Verhalten gestraft zu werden und dies dann zu unterlassen. Denn es ist eine Illusion, zu glauben, dass man den Hund immer abrufen kann, bevor er „zuschlägt“, da man nicht immer vor dem Hund bemerkt, was da auf dem Boden liegt.
Andererseits ist es nicht richtig, dauernd zu strafen. Kommt der Welpe ins Haus, ist es sinnvoller, für einige Monate den Perserteppich, die sonst offen herumstehenden Pradaschuhe etc. sicher zu verräumen. Dann kann der junge Hund sein unstillbares Kaubedürfnis an einem extra dafür bereitgestellten Spielzeug abreagieren. Sonst müsste man dauernd dem Hund klarmachen, dass er gerade etwas Falsches tut. Ein Hund, der laufend gestraft wird, beginnt irgendwann passiv zu werden, weil es ihm so scheint, als wäre alles verboten oder er ignoriert das „Phui“.
Um tatsächlich die gewünschte Wirkung zu haben, muss ein unerwünschtes Verhalten jedes Mal, wenn es auftaucht, zum exakt richtigen Zeitpunkt (Timing) und in der passenden Stärke erfolgen. Falls auch nur einer dieser Bedingungen nicht erfüllt wird, kann nicht nur die erhoffte Wirkung ausbleiben, sondern es kann darüber hinaus unerwünschte Folgen haben.
Betrachten wir diese Teilbereiche der Strafe etwas genauer: Ob es um Lob oder Strafe geht, der richtige Zeitpunkt ist bei der Hundeerziehung ganz entscheidend. Einem Kind kann man für gutes Verhalten am Vormittag versprechen, dass es am Nachmittag ein Eis bekommt. Es ist ab einem gewissen Alter selbstverständlich in der Lage, die „verspätete Belohnung“ richtig einzuordnen. Ebenso verhält es sich bei dem Stubenarrest, den es bekommt, weil es Stunden vorher Passanten mit Schneebällen
beworfen hat. Verspätete Belohnung und Strafe kann es durchaus dem auslösenden Verhalten zuordnen, wenn man es ihm erklärt. Die meisten Hundehalter wissen, dass dies bei der Hundeerziehung nicht klappt. Dem Hund abends einen besonderen leckeren Napf vorzusetzen, weil er in der Hundeschule so schön „Sitz“ gemacht hat, ist vollkommen sinnlos. Er wird sich zwar darüber freuen, doch nicht wissen, warum es ihm heute so gut geht, auch wenn man ihm das mit netten Worten zu erklären versucht. Natürlich wird er sich in der nächsten Erziehungsstunde nicht besonders anstrengen, um wieder in solch einen Genuss zu kommen. Ebenso kann ein Hund eine Strafe, die nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der „Missetat“ steht, nicht damit in Verbindung bringen. Man hat als Hundehalter gerade mal etwa eine Sekunde Zeit, um den Hund zum richtigen Zeitpunkt zu loben oder zu strafen. Doch nicht immer kann diese Frist zwischen Verhalten des Hundes und Reaktion des Besitzers eingehalten werden.
Es ist nicht zweckmäßig, den Hund verspätet zu strafen. Entdeckt man ihn nach der „Tat“ zufrieden in seinem Körbchen und beginnt dann zu schimpfen, ist ihm nicht klar, warum das geschieht. Er verspürt nur Ihre schlechte Stimmung und versucht Sie durch Gesten zu besänftigen. Die Behauptung, dass ein Hund dieses Verhalten zeigt, weil er genau weiß, was er angestellt hat, ist nicht richtig.
Wird ein unerwünschtes Verhalten nur hin und wieder bestraft, versuchen viele Hunde herauszufiltern, wann sie eine Chance haben, ungeschoren davonzukommen. Sie beobachten genau, in welcher Situation sie etwa unterwegs Kot fressen können. Vielleicht klappt das immer, wenn Frauchen mit der Nachbarin gemeinsam spazieren geht und ins Gespräch vertieft ist. Diesen Umstand nutzen sie dann gezielt aus. Solange der Hund also hin und wieder testet, ob das Verbotene tatsächlich bestraft wird, müssen Sie darauf gefasst und entsprechend vorbereitet sein. Geht das einmal nicht, muss das unerwünschte Verhalten etwa durch Anleinen unmöglich gemacht werden. Erst wenn sich über längere Zeit in verschiedenen Situationen gezeigt hat, dass der Hund das Verbot akzeptiert und gar nicht mehr versucht, ob er nicht vielleicht ungestraft davonkommt, kann davon ausgegangen werden, dass das Gewünschte sitzt. Rückfälle sind aber trotzdem möglich, etwa wenn ein Hund mit einem Artgenossen unterwegs ist und sich von diesem zu einer gemeinsamen Jagd „verführen“ lässt, obwohl er selbst eigentlich gelernt hat, dass Jagen für ihn unangenehme Folgen hat und dies längere Zeit gar nicht mehr versuchte.
Strafen können drastische Auswirkungen auf das Verhältnis des Hundes zu seinem Besitzer haben. Unangebrachte oder zu starke Strafen verunsichern den Hund.
Ängstlichkeit, nicht nur in bestimmten Situationen, kann die Folge sein. Häufig distanzieren sich Hunde nicht von einem Besitzer, der sie straft, sogar wenn es sich um massive Schmerzzufügung handelt. Viele Hunde zeigen sich extrem unterwürfig und weichen – in unseren Augen nicht nachvollziehbar – kaum mehr von seiner Seite. Sogar Hunde, die im Rahmen völlig unangebrachter Strafmaßnahmen geschlagen werden, scheinen ihr Herrchen trotzdem zu vergöttern.
Werden Strafen nicht korrekt ausgeführt, erleben Hunde sie als unvorhersehbar und damit unvermeidbar. Sie glauben durch ihr eigenes Tun eine Strafe nicht verhindern zu können. Das Vertrauen in den strafenden Besitzer geht verloren, die Hunde werden passiv und nehmen das scheinbar unausweichlich hin.
Des wegen ist es wichtig von Beginn an in der Hundeerziehung die richtigen Grenzen zu setzen, damit eine Mensch-Hunde-Beziehung langfristig positiv anhält.

Ihre Hundetrainerin Sabrina Franzkoch

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